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Vetorecht bei Umbauten im Stockwerkeigentum: Ein Fall aus der Praxis

Für den Beschluss von baulichen Massnahmen im gemeinschaftlich genutzten Teil einer Liegenschaft im Stockwerkeigentum ist die Zustimmung der Gemeinschaft erforderlich. Welche Details dabei zu beachten sind und wann Sie als Stockwerkeigentümer vom Vetorecht Gebrauch machen können, erfahren Sie in diesem Praxisfall mit Bundesgerichtsentscheid.

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Benachteiligung eines einzelnen Stockwerkeigentümers

Eine Stockwerkeigentümergemeinschaft vollzog an einer ordentlichen Eigentümerversammlung mit qualifiziertem Mehr einen Beschluss gegen den Willen eines einzelnen Eigentümers. Der Beschluss umfasste den Bau eines neuen Eingangsbereichs, eines Liftschachts sowie eines Veloabstellplatzes. Der Eigentümer, welcher nicht einwilligte bewohnt eine 3.5-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss der Liegenschaft. Der Hauseingang befindet sich im Untergeschoss und ist über eine Aussentreppe erreichbar. Da der Stockwerkeigentümer mit diesem Beschluss nicht einverstanden war, klagte er gegen die Gemeinschaft auf Aufhebung des Beschlusses. Als Argument brachte er vor, dass er mit dem Bau des neuen Eingangs erheblich benachteiligt werde. Dies weil seine Wohnung dadurch besser einsehbar sei, und er weiter mit erhöhten Lärmemissionen zu rechnen habe. Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage des Stockwerkeigentümers ab. Mit Berufung gelangte der Einsprecher ans Kantonsgericht, welches seine Klage guthiess. Die Gemeinschaft erhob jedoch Beschwerde beim Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung des Kantonsgerichtsurteils. Das Bundesgericht wiederum wies die Beschwerde der Stockwerkeigentümergemeinschaft mit der nachfolgenden Begründung ab.

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Bauliche Massnahmen im Stockwerkeigentum: Die Erwägungen des Gerichts

Im vorliegenden Fall war umstritten, ob der einsprechende Eigentümer das beschlossene Bauvorhaben verhindern kann. Für die Zuständigkeit von baulichen Massnahmen gelten im Stockwerkeigentum die Bestimmungen über das Miteigentum. Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen notwendigen, nützlichen und luxuriösen Massnahmen (Art. 647c/d/e ZGB). Unbestritten war, dass es sich um nützliche bauliche Massnahmen handelte. Hingegen umstritten war die Frage, ob eine Zustimmung durch den einsprechenden Eigentümer infolge einer erheblichen Gebrauchsbeeinträchtigung nach Art. 647d Abs. 2 ZGB erforderlich war. Gemäss diesem Artikel können Änderungen, die einem Miteigentümer den Gebrauch oder die Benutzung der Sache zum bisherigen Zweck erheblich und dauernd erschweren oder unwirtschaftlich machen, nicht ohne seine Zustimmung durchgeführt werden.

Vetorecht bei Belastung des Stockwerkeigentümers

Dem Stockwerkeigentümer steht damit ein Vetorecht zu, mit welchem er sich gegen Belastungen wehren kann, die im Vergleich zu den anderen Eigentümern übermässig sind. Die erhebliche und dauernde Erschwerung muss objektiv sein und von einem durchschnittlichen Nutzer als solche empfunden werden. Subjektive Bedürfnisse einzelner Stockwerkeigentümer sind unbeachtlich. Zu berücksichtigen sind weiter die konkreten baulichen und örtlichen Verhältnisse. Das Gericht stellte fest, dass es nicht möglich sei, näher als fünf Meter an die Fenster des Einsprechers heranzutreten und dass somit die Privatsphäre des Stockwerkeigentümers in der EG-Wohnung nicht gefährdet sei. Nach dem geplanten Umbau befinde sich der äussere Eingangsbereich auf derselben Ebene wie die Wohnung, genau auf der Höhe des Küchen- und Esszimmerfensters. Zwischen den Fenstern und dem geplanten Anbau bzw. der Haustür ist lediglich ein Abstand von 90 cm vorgesehen. Damit würde die Privatsphäre des Einsprechers stärker als bisher tangiert.

Der Umstand, dass vom Innenbereich des Eingangs sowie vom Lift keine zusätzlichen Lärmimmissionen für die EG-Wohnung ausgehen, sei nicht entscheidend. Ausschlaggebend sei, dass der Lärm vor der Haustüre zunähme. Der neue Eingang würde zwar die Treppengeräusche reduzieren, dafür aber die Geräusche vor dem Wohnungsfenster und den Schall zwischen Fassade und Anbau verstärken. Auch die Aussicht und die Lichtverhältnisse seien bei Ausführung des geplanten Umbaus als nachteilig zu beurteilen. Im heutigen Zustand betrage die Distanz bis zur Nachbarliegenschaft auf der linken Seite der Fassade ca. 50 Meter. Dies ermögliche einen ungehinderten Lichteinfall. Der geplante Anbau für den Eingang und den Lichtschacht würde 2.28 Meter aus der Fassade ragen und dadurch einen Grossteil der Fenster des Einsprechers verdecken. Das zusätzliche Anbringen eines Vordachs mit einem Abstand von nur 90 cm führe insgesamt zu einem erheblichen Verlust von Aussicht und Lichteinfall. Diese Umstände erfülle den Tatbestand der erheblichen Beeinträchtigung nach Art. 647d Abs. 2 ZGB, weshalb das Bundesgericht das Urteil des Kantonsgerichts bestätigte und die Klage des Stockwerkeigentümers im Erdgeschoss somit guthiess (Bundesgerichtsentscheid 5A_79/2022 vom 16.11.2022).

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